eHealth-Innovationen: Fast-Track oder Langstrecke?
Shownotes
Luisa Wasilewski ist publizierte Autorin und etablierte Digital-Health-Expertin. Als Gründerin und CEO von Pulsewave berät sie Gesundheitsunternehmen auf dem Weg zur digitalen, patientenorientierten Transformation, sowie Digital Health Startups vom Aufbau ihrer Digitalstrategien bis hin zum Markteintritt. Zuvor hat Luisa die Unternehmensberatung Brainwave Hub als CEO geführt, bei Heartbeat Labs selbst innovative Geschäftsmodelle aufgebaut und bei der Capgemini Consulting Unternehmen in ihrer digitalen Transformation unterstützt.
„Am Ende geht es darum, Menschen digital zu begleiten, weil das System so überlastet ist, dass wir es mit rein analoger Versorgung und nur durch menschliche Arbeitskraft schlichtweg nicht mehr schaffen,“ sagt sie. Mit Torsten Redlich von secunet wirft sie einen Blick auf die jüngsten Entwicklungsschritte von eRezept und ePA, bewertet anhand der DIGAs u.a. die aktuellen Schwierigkeiten für Innovatoren und Innovationen im digitalen Gesundheitswesen und erklärt, warum für weitere Entwicklungen das Gespann aus Regulatoren, Kassen und Innovatoren und Plattformen unbedingt notwendig ist.
Verlinkungen
- Luisa Wasilewski https://de.linkedin.com/in/luisawasilewski
- BrainWave https://www.brainwave-hub.de/
- Torsten Redlich https://www.linkedin.com/in/torsten-redlich-a8369089
- secunet https://www.secunet.com/branchen/gesundheitswesen
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00:00:00: Luisa All diese Daten sollen in Zukunft in das Forschungsdatenzentrum einfließen, und diese Daten sollen dann nicht nur für die Pharmaindustrie zur Verfügung gestellt werden, also für klinische Studien und Forschung, sondern auch für Unternehmen, zum Beispiel Start-ups, die digitale Tools entwickeln. Dort können dann Daten für ihre Studien und ihre Produktentwicklung angefragt werden. Wenn wir dahin kommen, glaube ich, dass Deutschland weltweit Vorreiter sein wird. Kein anderes Land hat das bisher so umgesetzt. Claudia Herzlich willkommen zur Sprechstunde IT-Sicherheit, Fokus Gesundheitswesen – dem secunet Podcast mit Markus Linnemann und Torsten Redlich. Torsten Ich bin Torsten Redlich. Herzlich Willkommen zur Sprechstunde IT-Sicherheit, Fokus Gesundheitswesen. Als Cybersecurity- und Data-Privacy-Spezialisten leisten wir mit sicheren IT-Infrastrukturen unseren Beitrag für ein sicheres digitales Gesundheitswesen. Ob im Umfeld der gematik, rund um die Telematikinfrastruktur und die TI-Fachdienste, oder auch in der passenden Vernetzung von Medizintechnik und der Verarbeitung von medizinischen Daten. In der heutigen Folge wollen wir auf das Jahr zurückblicken, aber auch einen Ausblick wagen. Welche positiven Effekte hat die Healthcare-IT zu bieten? Was ist seit der Verabschiedung des Gesundheitsdatennutzungsgesetzes oder des Gesetzes zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens passiert? Kernthemen wie der Einsatz von Cloud-Infrastrukturen oder auch die Datenverfügbarkeit wurden adressiert. Es ist also einiges in Bewegung. Technische Möglichkeiten gibt es auch, viele innovative Ideen und motivierte Leute sehe ich persönlich an jeder Ecke. In der Regel gesellen sich dann noch regulatorische Fragen dazu. Was genau aber kommt jetzt in der Versorgung an? Darüber spreche ich heute mit Luisa Wasilewski. Sie ist Digital Health Expertin, Gründerin, Speakerin und Autorin. Ich freue mich sehr, dass du bei uns in der Sprechstunde bist. Darf ich dich bitten, dich kurz vorzustellen?
00:01:43: Luisa Sehr gerne, ich freue mich auch, heute dabei zu sein. Ich bin Luisa, Gründerin und Geschäftsführerin von PulseWave. Ich beschäftige mich schon seit vielen Jahren mit der Digital-Health-Start-up-Szene und begleite diese ganze Szene von Start-ups, über Investoren, bis hin zu Pharmaunternehmen und Krankenkassen dabei, ihre Digitalstrategien aufzubauen. Ich sehe also sehr viel. Ich habe auch mal ein Buch über das gesamte deutsche Gesundheitswesen und den Stand der Digitalisierung geschrieben – das war auf jeden Fall ein langer Prozess, aber es zeigt auch, dass ich relativ breit aufgestellt bin und zu vielen Themen etwas zu sagen habe.
00:02:18: Torsten Dann freue ich mich sehr, da gehen wir mal in die verschiedenen Blickwinkel hinein. Jeder, der länger im Gesundheitswesen tätig ist, weiß, dass Geduld sowieso gefragt ist. In vielerlei Hinsicht gibt es ja auch genug, worüber man meckern kann, aber gibt es aus deiner Sicht Trends oder Vorhaben, die wir eigentlich mit Spannung und Vorfreude verfolgen sollten?
00:02:36: Luisa Auf jeden Fall. Ich bin eher der Fan davon zu sagen, dass es zwar jetzt 2, 3, 4, 5 Jahre gedauert hat, um diese ganzen Themen wie die elektronische Patientenakte (ePA), das E-Rezept und all diese infrastrukturellen, meiner Meinung nach sehr coolen Themen, voranzutreiben – auch wenn manche Leute das als langweilig empfinden – aber ich finde es total spannend, dass wir diese Arbeit in den letzten Jahren gemacht haben und auch in den nächsten Jahren weitermachen werden. Wenn man sich das jedoch in 2 oder 3 Jahren anschaut, was Lauterbach und auch Spahn vorher schon eingeleitet haben, dann ist das schon ein superschneller Fortschritt für das Gesundheitswesen. Bei großen Unternehmen sagt man ja, dass diese 10 Jahre brauchen, um Strategien umzusetzen und einen Kulturwandel zu vollziehen. Wir versuchen hier gerade einen kompletten Kulturwandel in einem jahrhundertealten Gesundheitswesen in wenigen Jahren umzusetzen – und das ist eigentlich schon ziemlich beeindruckend. Und ich finde, das darf man auch ruhig mal sagen und anerkennen, wir tun gerade wirklich viel. Wie ich bereits angedeutet habe, sind die großen Initiativen für mich persönlich total wichtig, insbesondere das Thema ePA, die elektronische Patientenakte. Ich freue mich sehr, dass im Januar das Opt-out kommt und wir dann alle eine ePA haben werden. Meine habe ich natürlich schon ganz vorbildlich aktiviert, aber ich gehöre damit leider zu unter 2% der Deutschen, die eine aktivierte ePA haben. Das wird sich ab Januar ändern. Und ich bin natürlich super gespannt, ob die Krankenkassen es auch geschafft haben, die technologischen Infrastrukturvoraussetzungen zu schaffen, damit das alles reibungslos abläuft. Das zweite Thema, das E-Rezept, ist ebenfalls super wichtig. Wir haben dieses Jahr einen absoluten Kernprozess, der vorher auf Papier lief, mit einer Deadline auf digital umgestellt. Ja, es lief nicht ganz reibungslos, aber bei welchem Produktlaunch ist das schon anders? Aber wenn man mal darüber nachdenkt, haben wir es geschafft, das E-Rezept deutschlandweit in wenigen Wochen einzuführen. Es läuft mal besser, mal schlechter, aber es läuft. Wir haben es gemacht – und darauf können wir eigentlich auch mal wirklich stolz sein und das auch anerkennen. Natürlich gibt es fürs nächste Jahr noch viel zu tun. Die großen Ausblicke für die nächsten Jahre beinhalten unter anderem das weitere Befüllen der ePA und eigentlich auch eine ePA zu schaffen, die „KI-ready“ ist, sodass wir irgendwann auch mit KI großflächig in Deutschland arbeiten können. Wir haben auch das ganze Thema stark an Daten geknüpft: DTx und Remote Patient Monitoring, wo auch schon einiges gemacht wird, wenn auch langsam, weil es ein regulatorisches Thema ist. Wir brauchen dafür den Rückhalt und geeignete Vergütungsmodelle, aber es wird aktiv daran gearbeitet. Und das steht auch alles in Verbindung mit dem Forschungsdatenzentrum, das ein Erbe von Lauterbach sein wird, das er mit dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) eingeleitet hat. Ziel ist es, alle möglichen Daten, die im Gesundheitswesen bestehen – also nicht nur ePA-Daten und Versorgungsdaten, sondern auch Register wie Krebsregister, Genomics etc. – in das Forschungsdatenzentrum einfließen zu lassen. Diese Daten sollen dann nicht nur der Pharmaindustrie für klinische Studien und Forschung zur Verfügung gestellt werden, sondern auch für Unternehmen, wie zum Beispiel Start-ups, die digitale Tools entwickeln. Diese Unternehmen können dann Daten für ihre Studien und Produktentwicklung anfragen. Wenn wir das erreichen, wird Deutschland meines Erachtens weltweit ein Vorreiter sein. Kein anderes Land hat das bisher so umgesetzt.
00:05:47: Torsten Das klingt sehr spannend, du hast schon einige Projekte genannt, wie die ePA, das E-Rezept und so weiter. Du hast auch erwähnt, dass Pharmafirmen und Krankenkassen dabei sind, ihre Digitalstrategien zu entwickeln. Welchen Anteil spielen sie, und welche Top-Projekte siehst du exklusiv in der Richtung Pharma und Krankenversicherungen?
00:06:05: Luisa Es gibt verschiedene Themen. Das Thema DIGA und DTx ist natürlich immer mit dabei, auch wenn es in der Finanziererszene ein bisschen einen Schimpfbegriff geworden ist – vor allem bei den VC-Investoren, die den Tisch verlassen, sobald du über DIGAs sprichst. Aber wenn man die ganze negative Presse mal kurz zur Seite schiebt und sich darauf fokussiert, was eine DIGA eigentlich tun soll, dann geht es darum, irgendwann hybride Versorgung anbieten zu können. Es geht darum, Therapien digital zu stützen, und das ist natürlich einerseits bei der Behandlung wichtig, aber auch in der Prävention. Diese ganzen Kernprozesse wie digitale Verhaltenstherapie, ja, viele Volkskrankheiten können mit einem geänderten Lebenswandel radikal verringert werden – vielleicht nicht geheilt, aber doch signifikant reduziert. Das sind alles Themen, die sowohl die Krankenkassen als auch die Pharmaunternehmen beschäftigen. Pharmaunternehmen setzen sich mit DIGA und DTx auseinander. Ich würde sogar sagen, dass 80% aller Pharmafirmen entweder schon versucht haben, eine DIGA zu entwickeln, gerade dabei sind oder sich gerade eine White-Label-Lösung besorgen. Wenn man bei den Krankenkassen schaut, die reden auch mit den DIGA-Anbietern – nicht unbedingt unter dem Begriff DIGA, aber sie gehen auf die gleichen Anbieter zu und fragen: „Was ihr da macht, das finden wir grundsätzlich cool. Können wir das vielleicht über einen Selektivvertrag erweitern und Ärzte einbeziehen? Können wir vielleicht noch mehr hinzufügen und ein größeres Bündel schnüren, das wir euch dann auch erstatten?“ Am Ende geht es darum, Menschen digital zu begleiten, weil das System so überlastet ist, dass wir es mit rein analoger Versorgung und nur durch menschliche Arbeitskraft schlichtweg nicht mehr schaffen. Das sehen wir auch in vielen verschiedenen Initiativen. Eine Initiative, die ich zum Beispiel auch total spannend finde, ist die Zusammenarbeit der Johanniter mit RoX und verschiedenen Start-ups. Sie haben jetzt für den Bereich Onkologie ein Remote-Patient-Monitoring-Programm ins Leben gerufen, bei dem krebskranke Menschen über längere Zeit begleitet werden – einmal im Krankenhaus, aber eben auch zu Hause mit digitalen Tools. Das Gleiche gibt es auch im Bereich Herzinsuffizienz, und ich glaube, das ist die Richtung, in die es gehen wird.
00:08:10: Torsten DIGAs sind ja die Schnellboote, die 2020, glaube ich, grundsätzlich auf den Weg gebracht wurden. Es ist schön, dass jetzt auch Pharmafirmen und Krankenkassen mit dabei sind. Zu Beginn war immer die Frage der Finanzierung. Jetzt hast du ja viel im Bereich Investments, Innovation, Venture Capital zu tun. Wo kommt das Geld her? Wer kann diese neuen digitalen Schnellboote überhaupt unterstützen? Wie siehst du das? Es hat ja eine ganz eigene Dynamik. Du hast es gerade schon angesprochen: Bei manchen ist das Wort DIGA nicht mehr das Lieblingswort. Aber natürlich müssen Dinge finanziert werden. Auch wenn man mal ganz neue Sachen ausprobiert, die ihren eigenen Rahmen und Raum finden müssen. Da braucht es natürlich auch mal Geld, auch wenn das am Ende des Tages nicht sofort in fertigen Produkten resultiert. Aber es ist ja auch viel passiert. Wie siehst du das? Geht es voran? Können die Schnellboote auch schnell sein?
00:08:58: Luisa Ja, das ist eine Frage, die mich wirklich sehr beschäftigt, muss ich zugeben. Zum einen, weil ich für Investoren arbeite und bei der Entscheidungsfindung helfe. Da muss ich auch oft zusehen, dass Entscheidungen nicht getroffen werden, weil zu viele Risiken gesehen werden oder einfach das Vertrauen in gewisse Geschäftsmodelle verloren gegangen ist. DIGA ist ein Beispiel dafür. Was wir in Deutschland sehen, hat sich auch schon seit Jahren aufgebaut. Nach dem Hype zu Beginn der Pandemie gab es einen wirklich tiefen Einbruch beim Finanzierungsvolumen. Das hat man natürlich auch weltweit gesehen: Wir haben Krieg, Inflation, viele geopolitische Einflüsse – all das bewegt die Finanzmärkte. Anfangs brach das Finanzierungsvolumen für Start-ups in allen Industrien ein, aber im Healthcare-Bereich war der Einbruch in Deutschland so massiv, dass wir letztes Jahr eine Insolvenzwelle gesehen haben, die, glaube ich, seit 25 Jahren nicht so stark war. Und das wird sich auch dieses Jahr weiterziehen; die finalen Zahlen werden wahrscheinlich im Januar veröffentlicht. Wir haben viele junge Start-ups, also Unternehmen in der Pre-Seed- und Seed-Phase, die oft noch kein Produkt haben oder gerade ihr erstes Produkt aufgebaut haben. Diese Start-ups bekommen gerade kein Geld vom Markt. Wenn sie doch Geld bekommen, dann nur von sogenannten Business Angels, also mit Beträgen zwischen 50.000 und 500.000 Euro. Das ist gut für den Anfang, aber dann geht man von einer Finanzierungsrunde zur nächsten, und die Gründer können sich kaum auf den Aufbau eines Geschäftsmodells konzentrieren. Wenn die Start-ups es geschafft haben, kommt der nächste Tiefschlag, weil sie mehr Geld brauchen. In der Regel zwischen 1,5 und 3 Millionen Euro. Sie müssen Studien durchführen, mehrere Zertifizierungen erhalten, und da wird es dann noch schwieriger. Früher sind hier VCs eingesprungen, aber die VCs haben Healthcare mittlerweile den Rücken gekehrt, weil es zu schwierig geworden ist. Aber ich muss auch sagen, und das beschäftigt mich sehr, dass VCs ein Geschäftsmodell haben, das grundsätzlich nicht gut zur Gesundheitsbranche passt. VCs setzen Fonds auf, die innerhalb von 3 bis 7 Jahren investiert und das Geld wieder zurückgeholt werden müssen. Wenn wir uns unsere Start-ups anschauen: Welches dieser Start-ups ist in 3 bis 7 Jahren schon so erfolgreich, dass sie einen Exit gemacht haben oder so viele Umsätze erzielen, dass sie Dividenden auszahlen können? Die VCs stehen vor dem Problem, dass sie Investitionen getätigt haben, bei denen keine Rückflüsse kommen, und das wird auch dazu führen, dass VCs früher oder später aussterben. Ein Ripple-Effekt: Wenn die Start-ups scheitern, werden irgendwann auch die VCs verschwinden. Das beschäftigt gerade die ganze Szene, meiner Meinung nach, extrem. Ich frage mich auch oft: Wenn wir so weitermachen und diese fehlenden Investitionen nicht von jemandem ersetzt werden, werden wir in 3 bis 5 Jahren diese Start-ups nicht mehr haben, die dann eine kritische Masse erreicht haben sollten, wenn sie heute Geld bekommen hätten. Wir gefährden im Prinzip unseren Innovationsarm, und das sieht man auch schon, wenn man schaut, welches deutsche Start-up in den letzten drei Jahren einen Exit gemacht hat. Aida? Nein. TeleClinic hat einen Exit gemacht, aber das war nicht besonders lukrativ für die Investoren. Cryer hat Deutschland verlassen, und bei Doctolib sieht es auch nicht so aus. Keiner kauft sie, weil ihre Bewertung zu hoch ist, was aus meiner Sicht berechtigt ist. Aber die Frage bleibt: Wo sind die Exits? Es ist wirklich eine große Frage, und ich glaube, hier kommen die Strategen ins Spiel. Ich denke, es ist das Zeitalter der Strategen angebrochen. Wir sehen, dass Pharmakonzerne anfangen, eigene Fonds aufzubauen und zu investieren. MedTech-Unternehmen und mittelständische Firmen, denen es gut geht, fangen an, eigene DIGAs zu entwickeln oder andere digital gestützte Lösungen. Ich glaube, das ist die Richtung, in die wir uns bewegen.
00:13:01: Torsten Genau, die etablierten Player, die heute schon Strukturen und Prozesse haben. Es gibt natürlich auch die Pharmafirmen mit ihren Wirkstoffen, bei denen Strukturen bestehen, die auch neue Lösungen mitbringen können. Deshalb fand ich es immer spannend zu sehen, wie DIGAs ursprünglich ein bisschen auf der grünen Wiese entstanden sind – was wirklich gut ist, wenn man frei denken kann. Und jetzt geht es über in diese etablierteren Strukturen. Man könnte sagen, die etablierten Strukturen sind aber vielleicht zu träge, ja, deswegen sind sie ja heute, wie sie sind. Aber vielleicht noch ein kurzer Einblick: Siehst du, dass der Geist der Innovation – also wenn ein Startup endet, gehen die Leute dann zu den Pharmafirmen und Krankenkassen und bringen den Spirit und das Vertrauen, das sie gewonnen haben, mit? Werden Pharmafirmen demnächst schlanker und agiler und bringen coole neue Lösungen auf den Weg, weil sie auch die Finanzierung stemmen können?
00:13:53: Luisa Das ist eine sehr gute Frage. Ich glaube, neue Gründer werden trotzdem immer wieder dazukommen. Das erlebe ich auch, und das frustriert mich manchmal, muss ich ganz offen zugeben, wenn dann ein ganz junger Absolvent im Gesundheitsmanagement vor mir steht und mir erzählt, wie er mit Telemedizin die Welt verändern will – und ich mir denke: Ach je, diesen Pitch habe ich schon 15 Mal gehört. Aber andererseits ist es gut, dass diese Leute trotzdem noch da sind, dass junge Gründer weiterhin etwas bewegen wollen. Ich glaube, wir werden das nicht ganz verlieren, es wird weiter neue Gründer geben. Leider muss ich sagen, dass viele Gründer nach 5 bis 10 Jahren gegen die Wand fahren. Das sehe ich leider sehr häufig. Aber es gibt auch Gründer, die zu den Pharmafirmen oder zu den Krankenkassen gehen. Was mir auch auffällt – und das habe ich im Krankenhausmarkt und auch im Krankenkassenmarkt gesehen – Pharma ist gar nicht so uninnovativ, wie man denken würde. Man bekommt nur nicht so viel mit, aber Pharmaunternehmen betreiben Forschung und Entwicklung, entwickeln Moleküle, sie sind technologisch sehr gut unterwegs. Man weiß noch nicht so viel darüber, aber man merkt, dass eine neue Ära von Managern aufkommt – eine Generation, die anders denkt, meine Generation, also Menschen zwischen 30 und 45 Jahren. Und es gibt einen generationalen Wandel, den man gerade sieht. Das ist schön zu beobachten. Diese Leute haben noch nicht aufgegeben, sie treiben weiter an, kennen die Limitierungen und mit solchen Leuten arbeite ich auch zusammen. Das sind meine Kunden: die neuen CEOs und Entscheider, die noch nicht aufgegeben haben.
00:15:20: Torsten Was sagen diese neuen Manager zur besseren Regulierung? Vor etwa 12 Monaten gab es das Gesundheitsdatennutzungsgesetz. Immerhin, jetzt kann man mehr mit Daten machen, die Räume öffnen sich, wir dürfen sogar Cloud-Infrastruktur nutzen. Gut, welche genau, darüber kann man diskutieren, aber es sind schon Schritte, die auch für DIGAs, Plattformdienste und skalierbare Datenplattformen wichtig sind. Werden die neue Generation von Managern jetzt direkt mit dem richtigen regulatorischen Ansatz ausgestattet?
00:15:53: Luisa Jein. Ja, wir sind auf dem richtigen Weg, aber ich glaube, wir haben noch einiges zu tun auf der regulatorischen Seite. Es gibt viele Unklarheiten, aber wir bewegen uns auf jeden Fall in die richtige Richtung. Ein gutes Beispiel, du hast nachgefragt, ob sich etwas bewegt: Im Bereich der Krankenkassen kann ich sagen, dass einige sich aktiv mit dem §25b aus dem GDNG beschäftigen. Dieser neue Paragraph erlaubt es Krankenkassen, ihre Abrechnungsdaten proaktiv auszuwerten. Eigentlich durften sie das schon immer, aber jetzt dürfen sie es auch offiziell und können ihre Versicherten präventiv individuell ansprechen. Das war vorher nicht erlaubt. Sie durften nur im Gießkannenprinzip alle Versicherten ansprechen. Es macht total Sinn, dass sie es jetzt so machen können, aber es gibt noch Einschränkungen. Der §25b ist nicht perfekt, auch hier gibt es klar definierte Grenzen, was sie dürfen und was nicht. Sie können nicht einfach tun, was sie wollen, aber es ist ein Fortschritt. Die Krankenkassen entwickeln derzeit Use Cases und überlegen, in welchen Bereichen sie dieses Recht am besten einsetzen können. HPV ist beispielsweise ein beliebtes Thema. Frauengesundheit ist ein sehr wichtiges Thema, und es ist gut, dass es im Trend liegt. Die Krankenkassen feiern es richtig, dass sie jetzt datenbasiert proaktiv Leute ansprechen können. Aber auch hier muss man innehalten. Der §25b ist noch nicht perfekt. Es gibt noch Einschränkungen, und auch die Infrastruktur muss weiter ausgebaut werden. Außerdem müssen sie die Zustimmung der Versicherten einholen, um ihre Daten nutzen zu dürfen. Das ist nicht nur eine technische Frage, sondern auch eine Frage der Prozesse. Die Technik ist heutzutage eigentlich kein Problem, aber die Einwilligung und die Abfrage der Daten müssen organisiert werden. Die Aggregation und Harmonisierung der Daten sind ein weiteres Thema. Natürlich müssen die Kassen noch viel tun, und auch die anderen Teilnehmer im Gesundheitswesen haben noch einiges vor sich.
00:18:20: Torsten Die Datenwirtschaft. Ein großes, spannendes Thema, das man wirklich noch einmal aufgreifen könnte. Leider schaffen wir das heute nicht, aber vielleicht demnächst. Da passiert ja wirklich viel. Der BDI Sphin-x ist ein Data Space, der da losgeht, die industrielle Gesundheitswirtschaft ist ein Thema, aber auch auf der akademischen Seite wird viel gemacht. Es gibt auch, glaube ich, Start-up-Firmen, die sich mit der Frage auseinandersetzen. Und sicherlich geht jede große Institution auf ihre Weise auch der Frage nach: Wie entstehen eigentlich neue Plattformen? Über Software as a Service wird häufig gesprochen. Also bauen jetzt Krankenversicherungen vielleicht individuelle Lösungen selbst, Krankenhäuser ihre Data-Plattform alleine. Cloud-Infrastrukturen sind ja eigentlich so die Maßgabe für den Menschen. Da können andere Dritte viel schneller professionelle Software und Software-Plattformen bauen, die man dann viel schneller nutzen kann. Wie siehst du das heute? Siehst du auch, dass der Trend eher dahin geht, schneller zusammenzuarbeiten, Profis ranlassen und SaaS-Konstrukte zu bauen, weil man da viel schneller starten und erste Effekte zeigen kann, die dann den Rückenwind geben?
00:19:24: Luisa Ja, auch das ist eine super essenzielle Frage für die Digitalstrategie. Buy or build ist immer so das Stichwort an der Stelle. Was ich in der Tat beobachte, und ich würde mich jetzt kurz auf den Pharmasektor beziehen, ist, dass viele Pharmafirmen in den letzten zehn Jahren gemerkt haben, dass es nicht wirklich ihre Kernkompetenz ist, selbst zu entwickeln, und sie haben, glaube ich, eine Menge Geld in den Sand gesetzt. Wir reden hier von Millionen, die verloren gegangen sind. Was ich aktuell aber viel mehr sehe, sind White-Label-Lösungen und Auslagerungen an Experten. Das ist zum Beispiel auch der Grund, warum wir die dtXca gegründet haben. DTx Consulting Alliance, weil wir sehen und auch predigen: „Liebe Pharmafirma, aber genauso gut, liebes MedTech-Unternehmen oder liebe Krankenkasse, seien wir doch mal ehrlich, ihr habt viele Leute, die mitreden wollen, das ist auch völlig in Ordnung, aber wirklich machen solltet ihr das nicht.“ Das findet inzwischen auch Gehör. Und bei DIGA, wenn wir jetzt wieder zum Beispiel auf DIGA zurückkommen, sehe ich gerade, dass einige DIGA-Hersteller sich als White-Label-Provider für mehrere Pharmafirmen positionieren, weil die Technologie im Kern ja Videos ausspielt, Tagebücher des Arztes – das ist jetzt vielleicht neu dazugekommen für viele DIGAs, aber das ist kein Hexenwerk. Am Ende geht es um den Content und das Messaging: Wie bekomme ich das zum Arzt und zum Patienten? Das ist der Bereich, in dem eine Pharmafirma dann auch etwas beitragen kann, weil sie die Ärzte kennt und, naja, die Patienten vielleicht nicht so gut, aber doch besser als die DIGA selbst.
00:20:57: Torsten Das stimmt mich freudig für die Zukunft, dass nicht jeder seine individuelle neue Idee und Lösung baut, das sehen wir ja jetzt. Heute diskutieren wir über viel zu viele Lösungen, die da sind, warum man Dinge nicht wiederverwertet. Und wenn dann zum Beispiel der Effekt eintritt, dass die DIGA-Innovatoren allein dafür gesorgt haben, dass wir jetzt vielleicht wiederverwertbare Standards haben – z.B. Tagebuch-Logbuch-Sachen – das muss man nicht nochmal erfinden. Und es muss ja immer durch die Regulierung durch, also es muss wieder irgendwie zertifiziert werden. Super spannend der Aspekt, wenn wir da noch einmal reingucken. Du hast es gerade erklärt, ihr habt sogar eine Allianz gegründet, um diese Beiboote zu unterstützen und zu hebeln. Da sind ja auch viele neue Ideen dabei. Da kann man nicht alles, von der Regulatorik bis zur Technik bis zur breiten Skalierung von Plattformen, immer gleich im Griff haben. Warum habt ihr die Allianz gegründet? Was ist euer Hauptzweck?
00:21:46: Luisa Wir haben die dtXca gegründet, weil wir schon viele Jahre bei verschiedenen Projekten zusammengearbeitet haben und festgestellt haben, dass immer wieder die gleichen Leute beim BfArM im Gespräch sind und immer wieder die gleichen Fragen auftauchen. Also haben wir uns gedacht, warum machen wir nicht eine Allianz daraus? Der zweite Grund ist, dass man einfach verdammt viele Leute braucht, um eine DTx an den Start zu kriegen. Man braucht Produktentwicklung, jemanden, der das Budget einholt, sei es bei einem internen Strategen oder mit Finanzinvestoren auf dem Markt. Dann das Thema Studienplanung, CRO-Management, die Studien umsetzen, die Zertifizierung, eine Medizinprodukte-Zertifizierung, für die man auch eine Studie braucht. Es geht darum, von Anfang an alles mitzudenken. Das war eines der großen Learnings der ersten DIGAs. Die ersten DIGAs sind sehr, naja, sagen wir mal naiv in den Prozess gestartet. Der Prozess war noch nicht klar, und im Laufe des Prozesses haben sie gemerkt: „Oh, das hätten wir eigentlich schon vor sechs Monaten mitdenken müssen.“ Zum Beispiel, wenn wir im Zuge der CE-Zertifizierung einen bestimmten Studienzweck nicht eingetragen haben, der aber später für die DIGA wichtig wäre, dann können wir das nicht mehr machen. Das sind genau diese Themen, die wir jetzt aus unserer Erfahrung, weil wir es schon mehrere Jahre machen, direkt im Vorfeld ansprechen können. Das macht auch Spaß innerhalb der dtXca, und wir denken wirklich von Produktentwicklung über Legal, Studien, Pricing bis zu BfArM-Gesprächen – wir decken alles ab.
00:23:22: Torsten Du hast angesprochen, dass ihr wahrscheinlich durch die ganzen DIGAs viele Erfahrungswerte gesammelt habt. Wo muss man sich weiterentwickeln? In meinem Verständnis war auch DIGA oft so eine Fragestellung: Sie sind jetzt patientenzentriert entwickelt, was super ist, und es gab auch Datenschutzthemen, wo man gesagt hat, wenn die Daten auf einem Smartphone abgesichert sind und nicht irgendwo anders hinfließen, ist das schon gut für den Datenschutz. Aber jetzt ist ja der Therapeut, der Arzt, also die, die mit den Daten arbeiten, um dir zu helfen und dich dauerhaft zu unterstützen, gar nicht so einfach zu erreichen. Haben wir den Arzt vergessen? Haben wir den Therapeuten vergessen? Oder haben wir ihn vielleicht wegen des Datenschutzes vergessen? Oder war das Geschäftsmodell ein anderes? Wo stehen wir da gerade, und wohin geht die Entwicklung in Zukunft? Werden diese Punkte schon aufgegriffen?
00:24:11: Luisa Ja, super Thema. Also man muss sagen, das Thema mit den Ärzten hat auch ein bisschen der Gesetzgeber, ich würde jetzt sagen, vermasselt, aber er hat es so komplett intendiert. Die DIGA ist so, wie sie heute besteht, so intendiert, dass der Arzt komplett regulatorisch, also per Gesetz, ausgeschlossen sein muss. Ein Arzt darf per Gesetz nicht interferieren, weil sonst kann man ja die DIGA nicht mehr genau abgrenzen zu dem Menschen. Also in der Studie sozusagen muss dann bewiesen werden, dass die DIGA mindestens genauso gut ist wie der Arzt, und wenn der Arzt natürlich irgendwie mitmacht bei der DIGA, kann man das nicht mehr 100 % trennen und das ist dann blöd. Deswegen hat der Regulator gesagt, kein Arzt darf involviert sein. Da kommt jetzt erstmal grundlegend her, dass es so ist. Das macht natürlich überhaupt gar keinen Sinn. DIGA ist halt eine Welle 1, so war das mal angedacht. Ich glaube, das wird sich ändern, und es ändert sich auch gerade schon. Wir sehen erste DIGAs, die in den sogenannten Blended Care-Ansatz eingefügt werden, sodass Ärzte zumindest über ein Dashboard mit reingehen können und Daten anschauen können. Es gibt ein paar wenige Mental Health DIGAs, bei denen Ärzte sogar intervenieren können, wenn Suizidgefahr besteht. Das wurde dann sogar zugelassen, ohne dass man sagt, da wird die Behandlung wirklich vom Arzt mit beeinflusst, sozusagen. Also das sind so Bewegungen, Blended Care. Da entwickelt sich die DIGA gerade immer mehr hin und das ist auch richtig so. Meiner Meinung nach sollte auch Telemedizin mal irgendwann Teil einer DIGA sein. Das ist regulatorisch aktuell ausgeschlossen, aber ich glaube, da werden wir uns vielleicht in DIGA Version 10 irgendwann mal hinbewegen. Das zweite Thema ist Remote Patient Monitoring. In der Gesetzgebung ist es nicht ausgeschlossen, dass eine DIGA auch für Remote Patient Monitoring genutzt werden kann. In Frankreich ist das sogar so schon direkt super proaktiv umgesetzt worden. Dort gibt es im Prinzip in der französischen vergleichbaren DIGA-Regulierung zwei Stränge: einmal die DTx, so wie wir sie als DIGA haben, und einmal die Remote Patient Monitoring DIGA, und es wird dort auch schon zertifiziert und umgesetzt. In Deutschland ist das irgendwie noch nicht gestartet. Das BfArM sperrt sich anscheinend auch relativ stark gegen Remote Patient Monitoring-Lösungen. Aber es ist im Prinzip im Gesetz die Grundlage dafür gelegt und wir brauchen das. Also auch da wieder zurück zu dem Thema: Was soll die DIGA eigentlich mal? Wofür wurde sie intendiert und was soll sie mal lösen? Sie soll vor allem unser Fachkräfteproblem lösen. Ja, wir werden in den nächsten 20 bis 30 Jahren, wenn die ganzen Babyboomer multimorbid sind, es einfach nicht mehr schaffen. Wir haben ja jetzt schon Fachkräftemangel. Es wird einfach nicht mehr anders gehen. Und deswegen ist auch meine These, die ich persönlich habe: Ich glaube, das Thema DIGA wird sich wahrscheinlich jetzt noch nicht in den nächsten ein, zwei, drei Jahren großartig drehen, weil da haben wir einfach andere große Themen, um die wir uns kümmern müssen in Deutschland, Stichwort Krankenhäuser, Krankenhausreform, Pflege. Das sind alles Themen, die in den nächsten zwei bis drei, vier Jahren kommen werden. Aber ich glaube, die Legislaturperiode danach wird dann so unter Druck stehen, dass sie die DIGA noch mal anfassen wird und wahrscheinlich auch den Blended Care-Ansatz erweitern wird. Ich würde auch vermuten, dass Telemedizin irgendwann zugelassen wird. Weil wie soll man es denn sonst irgendwie noch halbwegs stemmen können? Die Menschen leben immer länger, sie leben jahrzehntelang mit chronischen Krankheiten. Die müssen regelmäßig zum Check-up. Das wird gar nicht mehr anders gehen und das ist auch der Weg, den ich sehe. Der dritte Weg, den ich noch kurz erwähnen wollte, ist, in der Tat wird aber so heute noch nicht gemacht. Also Disclaimer: Ich glaube, dass Pharma in dem Sinne sich mehr involviert, weil man DIGA auch gut mit Arzneimitteln denken kann: Arzneimitteladhärenz. Man kann aber auch sagen, na ja, DIGA ist ja eher eine konservative Therapie, also Lebenswandel, und es gibt aber Menschen, bei denen funktioniert das irgendwie nicht. Ja, Adipositas ist ein gutes Beispiel. Ja, du kannst jetzt jemanden noch mal zehnmal eine DIGA verschreiben, der nimmt einfach nicht ab. Dann muss man vielleicht doch ein Medikament einsetzen oder eine OP machen, und das kann man aber jetzt viel besser managen und sagen, gut, der macht jetzt erstmal zwei Jahre konservative Therapie und wenn das wirklich nicht anschlägt, datenbasiert, wir können das sehen in unseren Daten, dass er nicht drauf anspricht, dann gibt es auch einen Grund, regresssicher für den Arzt, sozusagen weiterzuleiten. Das wird heute noch gar nicht so gemacht, aber ich glaube, das ist auch eine Ausbaustufe für die DIGA.
00:28:08: Torsten Würde ich in meiner persönlichen Sicht hoffen, denn ich höre wirklich viele Ärzte, Therapeuten, Physiotherapeuten, die eigentlich gerne IT-Mittel nutzen, um einfacher besser dabei zu bleiben und auch remote helfen zu können. Ich hoffe, dass sich das in die Richtung entwickelt. Dann sind wir wieder wahrscheinlich bei Fragen, wie werden denn Daten geteilt? Eingangs ja, die Frage nach der Cloud, da wird es ja wieder hinmüssen, weil nur auf der Smartphone-App wird es jetzt schwer, irgendwie mit Schnittstellen anzubieten. Deswegen wahrscheinlich ganz guter Rückenwind, der dann trotzdem schon mal da liegt und die Fähigkeiten mitbringt. Zertifizierung, du sagtest auch, das BfArM tut sich mit manchen Sachen vielleicht schwer, dann sind es auch noch mal echt Einschnitte, ja, ganz veränderte IT-Architekturen vielleicht und andere Zertifizierungsvorhaben. Ich fand immer das Fast-Track-Verfahren super interessant. Wir bei secunet arbeiten viel mit Zulassungen, Zertifizierungen, wenn es wirklich darauf ankommt, auf Sicherheit in den Systemen, dann gehört das auch dazu. Fast-Track klingt deinem Namen schon recht schnell. Ist es denn auch ein Fast-Track?
00:29:07: Luisa Exzellente Frage, da muss ich auch direkt ein bisschen schmunzeln. Also das Fast-Track ist im Kern schon ein Fast-Track, weil du eben schon gelistet werden kannst, auch wenn du noch nicht die Studie fertig hast. Das ist ja auch weiterhin so und in diesem Aspekt würde ich auch sagen, ja, da haben wir in Deutschland einen Modus gefunden. Der wird viel kritisiert, aber es ist in dem Sinne ein Fast-Track. Startups können schon mal Geld verdienen, auch wenn sie noch keine große randomisierte Studie im Goldstandard fertig haben. Ich finde das total innovativ und ich würde mir ehrlich gesagt auch in anderen Bereichen wie Remote Patient Monitoring oder auch in der Telemedizin manchmal mehr diesen Mut vom Gesetzgeber wünschen, zu sagen, gut, vielleicht muss an Geld zurückgezahlt werden, wenn die Studie nicht klappt, aber wir vertrauen da jetzt erstmal drauf und gehen davon aus, dass das gut vorbereitet ist. Also kann man auch schon mal den Startups oder den Innovatoren – es müssen auch nicht immer Startups sein – Geld für ihre Lösung geben. Da würde ich mir wünschen, dass man diesen Fast-Track-Ansatz wirklich mal auf andere Konzepte, andere Technologien und andere Anwendungsfelder überträgt. Das muss man aber auch sagen: Das BfArM ist total überlastet. Ja, wir sehen das ja auch bei den ganzen MDR/CE TÜV-Stellen, da wartet man monatelang auf Termine, um überhaupt mal sein Konzept besprechen zu können. Das ist beim BfArM genauso. Du wartest sechs Monate aktuell für ein erstes Gespräch, und was wir jetzt auch schon erlebt haben, ist, dass einfach abgesagt werden kann, irgendwie einen Tag bevor das BfArM sich zurückmelden muss und man sich dann schon fragt, haben sie das jetzt überhaupt geprüft oder haben sie es einfach erst mal abgelehnt, weil sie es einfach nicht angucken konnten? Kann man das natürlich nicht nachweisen, kann man denen jetzt nicht unterstellen, aber da sieht man schon: Wenn du eine DIGA wirklich an den Start bringen willst, brauchst du halt zwei Jahre aktuell, das ist jetzt nicht mehr so fast. Und was man auch sagen muss, und das steht jetzt ein bisschen im Widerspruch zu dem, was ich zuerst gesagt habe, viele Unternehmen versuchen gar nicht mehr über den Fast-Track reinzukommen, sondern versuchen direkt die dauerhafte Listung anzustreben. Und das liegt daran, weil du ja schon im Prinzip mit dem Fast-Track so ein bisschen einen verlängerten Prozess hast: Du machst erstmal Fast-Track, machst die Studie und dann machst du noch mal weiter, wenn du kannst. Natürlich auch gleich darauf planen und sagen, ich mache jetzt erstmal meine Studie und wenn ich die Ergebnisse habe, dann gehe ich direkt in die dauerhafte Listung. Habe viel mehr Planungssicherheit. Das versuchen eigentlich gerade alle, so zu machen, einfach um weniger Friction in den Prozess zu bringen und mehr Planungssicherheit reinzubringen. Das heißt, es wird eigentlich schon wieder angefangen, den Fast-Track zu umgehen. Das kann sich aber einfach nicht jeder leisten, und deswegen ist es so ein bisschen wieder eine Sache: Was passt zu dir? Was passt zu deinem Unternehmen? Was passt zu deiner Finanzierungsstruktur? Brauchst du vielleicht diese frühzeitige oder vorläufige Listung, um dann überhaupt Geld am Markt zu bekommen? Dann ist es super dafür. Wenn du Geld hast, würde ich dir auch raten, mach direkt die dauerhafte Listung.
00:31:43: Torsten Sind denn, weil du sprichst über Evidenz, ist es auch wirklich wie ein Medizinprodukt? Also hat es auch eine Wirkung? Das ist ein ganz wichtiger Teil, und wie soll man das rauskriegen, wenn man nicht vielleicht auch schon mal ein paar Meter macht? Vielleicht der Mut, den du ansprichst, natürlich auch jetzt in Zertifizierungen, in Zulassungen steckt ja auch immer der technische Begriff. Aus der DTx Alliance jetzt vielleicht euer Blick: Wie herausfordernd ist es, DIGAs als Medizinprodukte auch technologisch sauber durchzukriegen?
00:32:09: Luisa Also mein Eindruck, und ich bin jetzt nicht diejenige, die Regulatorik bei uns in der dtXna vertritt, das ist Regenold, aber mein Eindruck ist schon, dass das eigentlich ganz gut geht, weil es inzwischen Best Practices gibt. DIGA haben wir jetzt seit fast drei Jahren. Wenn ich jetzt eine DIGA neu bauen würde, würde ich niemals zu einer Agentur gehen, die noch keine DIGA zertifiziert hat, sondern ich würde sagen, ich gehe zu einer, die das schon dreimal gemacht hat, und ich will dann am besten die gleichen Tech-Bausteine, das gleiche Backend haben, wie du schon vorhin meintest: Blueprint, Wiederverwendbarkeit von Modulen, Standards. Und am Ende des Tages, das hat Jonas von fBeta letztens bei der Bitkom bei unserem Workshop gesagt: Eigentlich ist es alles nur eine Frage des Geldes und dann kommst du durch die Zertifizierung eigentlich ganz gut durch.
00:32:51: Torsten Du hast ein Buch geschrieben, der digitale Puls oder digitaler Puls, wenn man es genau nimmt im Titel. Wenn du in zwei Sätzen beschreiben müsstest, was würdest du sagen?
00:33:00: Luisa Das ist natürlich total schwer, 500 Seiten, jeder Sektor im Gesundheitswesen analysiert. Es ist interessant, weil ich gerade darüber nachdenke, das Buch nächstes Jahr upzudaten. Weil als ich das Buch geschrieben habe, waren meine zwei Sätze: Das Gesundheitssystem richtet sich jetzt wirklich hin zum Patienten aus und die Marktteilnehmer, die das nicht schaffen, die Bedürfnisse des sogenannten Gesundheitskunden, so habe ich ihn betitelt, im Buch, zu erkennen und umzusetzen, die werden mittel- bis langfristig sterben. Das war meine Aussage. Ich glaube, dass das nicht genauso stimmt. Das habe ich gelernt, das Buch ist jetzt vier Jahre alt. Der Patient ist super wichtig und sich an den Patienten auszurichten, ist auch super wichtig, aber am Ende kann Regulierung alles killen. Wenn der Regulator sagt, machen wir nicht, dann passiert das nicht. Da kann der Patient oder der Versicherte so viel rumschreien, wie er will. Wird nicht funktionieren. Deswegen glaube ich inzwischen, muss es ein Zusammenspiel sein aus Regulator, den Kassen - die Kassen sind am Ende die, die neben Apple und Co. noch die meiste Kundenbindung haben, die meisten Zugang zu Kranken haben, nicht so sehr zu gesunden Menschen, aber zu Kranken schon - und eben den Innovatoren und den Plattformen, die sich gerade bauen. Und es werden eben nicht nur die Plattformen sein. Wir werden dieses Gespann am Ende brauchen, sonst werden wir uns nicht bewegen können.
00:34:22: Torsten Mit welcher Motivation, mit welchem Blick auf das Jahr 2025 startest du dann durch?
00:34:28: Luisa Ich finde diesen Gedanken, eine KI-ready EPA zu haben, das hebt mich gerade richtig ab. Wir sind da natürlich noch lange nicht, aber das ist jetzt mein Leuchtturm geworden, ehrlich gesagt, für die nächsten Jahre auch, und auch im nächsten Jahr will ich mich daran selber festhalten. Wir müssen es schaffen, die Infrastruktur aufzubauen, dass wir KI-ready sind, weil KI, und das ist nicht nur für nächstes Jahr ein wichtiges Thema, das ist für die nächsten, für immer ein wichtiges Thema. KI ist gekommen, um zu bleiben. Wir haben uns heute nicht so viel über KI unterhalten, weil es einfach auch noch nicht so präsent in unserer Welt ist, aber KI wird alles verändern, wie wir Gesundheit denken. Und zwar nicht, weil es 1000 neue Prozesse und Lösungen geben wird, sondern weil all diese Prozesse, die wir heute schon sehen, überall KI integriert werden und dann besser funktionieren. Und deswegen steht für mich das nächste Jahr unter diesem Zeichen: Wir müssen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass wir endlich mit KI mehr arbeiten können. Leider sind wir in Deutschland im Gesundheitswesen da noch nicht. Wenn wir das schaffen, dann wird es ein gutes Jahr nächstes Jahr.
00:35:30: Torsten Hättest du noch eine Empfehlung für die nächste Gesundheitsministerin oder den nächsten Gesundheitsminister?
00:35:34: Luisa Also ich würde mir wünschen, dass wir die ganzen Initiativen, die wir gerade machen, irgendwie doch noch ein ganz kleines bisschen schneller umsetzen, also bei der ePA zum Beispiel. Ich habe ja schon gesagt, die ePA, zwei Jahre sind jetzt nicht viel, aber was mich schon manchmal ein bisschen, ja, ist nicht traurig – stimmt, das ist das falsche Wort –, aber was mich manchmal ein bisschen frustriert, hast du dir mal die ePA-Roadmap angeschaut? Also wenn ich dann lese, dass Laborwerte 2026 angeschlossen werden, dann denke ich mir so: Was?! Wieso werden Laborwerte nicht im Q2 2025 angeschlossen? Ich meine, da gibt es Gründe für, es ist ein super komplexes Thema und es ist mir völlig klar, das ist leicht gesagt jetzt für mich als eine kleine Digitalisierungstante, so nach dem Motto, aber das wäre toll, wenn wir es doch noch schaffen, diese wirklich „low hanging fruits“, also Befunde und Diagnostik, die eh schon in digitaler Form mehr oder weniger vorliegen, umzusetzen. PDFs können ja heutzutage relativ einfach in strukturierte Daten umgesetzt werden, über OCR, das ist ja alles kein Hexenwerk mehr. Wenn wir das hinkriegen würden, das würde ich mir wünschen.
00:36:36: Torsten Vielen Dank für den spannenden Einblick. Wir haben viele tolle Themen. Wenn diese sich mehr und mehr bündeln und konzentrieren, dann schauen wir hoffentlich genauso auf ein erfolgreiches 2025. Sind Fragen offengeblieben oder Inhalte noch unklar nach heute? Habt ihr Anmerkungen oder Wünsche? Schreibt uns auch gerne an podcast@secunet.com, abonniert gerne unseren Kanal. Vielen Dank für deinen Besuch hier, Luisa, und ich wünsche dir einen schönen Jahresabschluss.
00:37:01: Luisa Dankeschön.
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